Montag, 15. August 2011

Jürgen Fliege relativiert den Holocaust. Und BILD hilft dabei.

Ja Servus,

einen Tag lang fehlten uns die Worte darüber, dass "TV-Pfarrer" Jürgen Fliege einen Satz absonderte, der uns das Blut in den Adern gefrieren liess. Und der nun schon 24 Stunden unwidersprochen durch das Internet wabert. Wir hatten eigentlich gedacht, irgendeiner sagt schon was dazu, aber bislang ist Schweigen im Walde Netz.

Was war passiert:
Fliege bietet auf seiner Homepage eine medizinisch selbstverständlich völlig wirkungslose "Fliege-Essenz" an. Das soll wohl Wasser sein, das durch sein spirituelles Zutun (Beten?) in was auch immer verwandelt wird. Knapp 100 ml für knapp 40 Euro (!!).


Unter anderem das rief die Sektenbeauftragte des Hamburger Senats, Ursula Caberta, auf den Plan, die in ihrem Buch "Schwarzbuch Esoterik" in einem Rundumschlag Prominente anprangert, die ihrer Ansicht nach der Esoterik Vorschub leisten. Und damit Menschen für die Aktivitäten von Sekten anfälliger machen.

Dieser Vorstoss ist unserer Meinung nach ein wenig überzogen, wenn sie zB Hape Kerkeling oder auch Nena deswegen angreift, aber man muss Cabertas Vorgeschichte berücksichtigen: 

seit Jahrzehnten warnt Caberta vor den Gefahren der (nicht nur in unseren Augen) faschistoiden Psychosekte "Scientology", und hat mit ihrer beharrlichen, selbstlosen und aufklärerischen Arbeit in Deutschland ein Klima geschaffen, in welchem Scientology nicht mehr so recht gedeihen kann. Dabei setzte sie sich gegen grösste Widerstände durch, u. a. zahllose Klagen, Kampagnen, Denunzierungen und auch Drohungen durch Scientology und / oder beauftragte Anwälte. Aber sie blieb bei ihrem Ding und zog es durch. Daher sei ihr problemlos verziehen, wenn sie wie hier ein wenig über das Ziel hinausschiesst.
Über Cabertas Engagement ging auch die eigentlich vielversprechende Partnerschaft mit der damals sehr erfolgreichen Scientology-Kritikerin Renate Hartwig in die Brüche. Hartwigs Buch "Scientology: Ich klage an" hatte uns Anfang der 90er für den Bereich sensibilisiert. Gemeinsam hätten die beiden noch viel mehr erreichen können.

Aber Fliege wehrte sich. Seinem offensichtlichen Drang, in der Öffentlichkeit eine Rolle spielen zu müssen, gab er nach und gab ein "Gegeninterview". Und wo macht man das am Besten? Genau. Bei BILD.de.

Unter der Schagzeile "Nach dem Sex bete ich" (plakativer gehts dann wohl kaum noch) bietet BILD ihm ein Forum. Und weil Fliege auch vorgeworfen wird, für Produkte von Scientology Werbung zu machen, antwortet er BILD.de allen Ernstes:
"Caberta sagt, 'Kauft nicht bei Scientologen'. Wie früher in ungleich gefährlicheren Zeiten gesagt wurde: 'Kauft nicht bei Juden'...". 
Doch, stimmt wirklich. Soll ich es nochmal aufschreiben? Okay, hier der Screenshot:


Das schlägt doch dem Fass die Krone ins Gesicht, oder? Sind WIR hier die Irren, die das absolut unmöglich finden? Da passieren doch gleich zwei unglaubliche Dinge auf einmal:

- zum Einen setzt sich hier ein deutschlandweit bekannter TV-Moderator und evangelischer Pfarrer für eine erwiesen menschenverachtende und faschistoide Organisation ein, deren oberstes Credo das "Geldverdienen" ist. Scientology akzeptiert keinerlei staatliche Autorität, agiert so gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung und wird seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet.
Wie Fliege das mit seinem so plakativen christlichen Glauben vereinbart, bleibt sein Geheimnis. Vielleicht sollte er einfach mal lesen, was sein Heimatclub, die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD), über seinen neuen Verein, die Scientologen, so schreibt.

- zum Anderen stimmt er ein in deren konstruiertes Opfer-Gehabe, wonach sie behaupten, sie wären die "Juden der 90er" und würden in Deutschland genauso verfolgt wie im 2. Weltkrieg die menschen jüdischen Glaubens.

Wenn das ein ideologisch verblendeter gehirngewaschener oder unter dem Zwang seiner Vorgesetzten stehender Scientologe sagt, kann ich das noch einordnen: das ist eine Relativierung des Holocaust, die man nicht durchgehen lassen kann, die man aber von faschistoiden Organisationen gewohnt ist.
Eine völlig weltfremde und verstellte Sicht der Dinge, denn hierzulande wurden mal noch keine Scientologen enteignet, verjagt, deportiert, in Ghettos gesperrt, gefoltert, eingesperrt, auf offener Strasse erschossen oder auch mal mit Knüppeln erschlagen, zu Zwangsarbeit oder einfach nur zum Verhungern in Konzentrationslager eingewiesen oder am Ende planmässig und industriell umgebracht. Und solange wir ein Rechtsstaat sind, wird das auch nicht passieren.

Aber wenn ein bundesweit bekannter TV-Moderator so etwas sagt, dann kann das nur zwei Ursachen haben:
- entweder, er ist komplett durchgeschossen und glaubt, was er sagt
- oder er ist komplett skrupellos und erzeugt einen kalkulierten Skandal, um Aufmerksamkeit und damit UMSATZ zu generieren.

Mit letzterem würde Fliege zeigen, was er inzwischen ist:
Ein Unternehmer in eigener Sache, ohne jeglichen ethischen oder moralischen Anspruch. Aber mit einem übermoralischen und überethischen Anstrich.

Und dass BILD.de diesen Satz unkommentiert ins Netz stellt, dafür gehört Herrn Diekmann für drei Tage das Haargel entzogen. Oder schlimmeres.

So long

Der Falke